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Kein effektiver Rechtsbehelf zur Beschleunigung überlanger Gerichtsverfahren

Ich werde immer wieder gefragt, ob es Möglichkeiten gibt, ein Gericht zu zwingen, ein Gerichtsverfahren zügig durchzuführen.

Zwar folgt aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz ein Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz, so dass Gerichte anhängige Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung bearbeiten und bei Entscheidungsreife möglichst zeitnah abschließen müssen. Auch Art. 6 Abs. 1 S. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention sieht vor, dass über Streitigkeiten in einem fairen Verfahren öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.

Die Realität sieht aber anders aus. Im Jahr 2010 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass Deutschland innerhalb eines Jahres einen wirksamen Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren schaffen müsse. Diese Entscheidung gründete unter anderem darauf, dass der Gerichtshof allein im Jahr 2009 dreizehn Verstöße gegen das Erfordernis der angemessenen Frist festgestellt hatte. Es handle sich daher nicht um Einzelfälle, sondern um Mängel im deutschen Rechtssystem.

Daraufhin wurde das Gesetz über Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erlassen (§§ 198 – 201 Gerichtsverfassungsgesetz). Dieses sieht vor, dass Verfahrensbeteiligte, die infolge unangemessener Dauer eines Verfahrens einen Nachteil erleiden, angemessen entschädigt werden. In der Regel soll die Entschädigung 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung betragen. Es gibt also keine Möglichkeit, ein Gerichtsverfahren zu beschleunigen, stattdessen wird im Nachhinein eine finanzielle Entschädigung gewährt. Voraussetzung für die Entschädigungsleistung ist eine Verzögerungsrüge, die erst erhoben werden darf, wenn die Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in absehbarer Zeit abgeschlossen werden wird. Eine Entschädigungsklage kann wiederum erst sechs Monate nach Einreichung der Verzögerungsrüge erhoben werden.

Allerdings wird nur selten eine Entschädigung gewährt. Denn es gibt nach Ansicht des BGH keinen Rechtsanspruch auf eine optimale Verfahrensförderung. Die Verfahrensführung des Richters wird im Entschädigungsverfahren nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Diese darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten unverständlich erscheint. Als Begründung verweist der BGH darauf, dass der Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit betroffen ist. Die Entscheidung des BGH vom 15. Dezember 2022 – III ZR 192/21 wurde von seiten der Anwaltschaft vielfach kritisiert, wird aber von den anderen Bundesgerichten mitgetragen.

Überlange Gerichtsverfahren vor den Zivilgerichten bleiben also so gut wie folgenlos, da eine Verzögerung nur entschädigt wird, wenn das Gerichtsverfahren in einer Weise geführt wurde, die unvertretbar erscheint.

Ob dieses Demokratieverständnis richtig ist, sei dahingestellt. Der Gesetzgeber hat zumindest die Notwendigkeit gesehen, in Kindschaftssachen nachzubessern und hat im Jahr 2016 als zusätzlichen Rechtsbehelf die Beschleunigungsrüge gemäß § 155 b FamFG eingeführt. Wird auf diese nicht reagiert, kann eine Beschleunigungsbeschwerde nac § 155c FamFG eingelegt werden, über die ein anderes Gericht als Beschwerdegericht entscheidet.