Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte bereits am 26.03.2020 auf Vorlage des Landgerichts Saarbrücken entschieden, dass in Verbraucherverträgen klar und verständlich über die Widerrufsfrist und die weiteren Modalitäten zur Ausübung des Widerrufsrechts informiert werden muss. Eine Widerrufsbelehrung, die eine Gesetzesvorschrift benennt, die wiederum auf eine weitere Vorschrift verweist (sog. Kettenverweis), sei für einen Verbraucher weder klar noch verständlich.
Geholfen hatte dies dem klagenden Verbraucher aber nicht, da das Landgericht Saarbrücken den Widerruf seines Darlehens als rechtsmissbräuchlich einstufte und seine Klage abwies. Damit folgte das Gericht der Auffassung des Bundesgerichtshofes (BGH), dass sich Banken darauf berufen können, dass das Widerrufsrecht durch Zeitablauf verwirkt ist oder der Verbraucher sich bei Ausübung des Widerrufsrechts rechtsmissbräuchlich verhält.
Der BGH sah keine Veranlassung, seine verbraucherfeindliche Auslegung des EU-Rechts durch den EuGH überprüfen zu lassen. Diesen Weg hat dann ein Einzelrichter beim Landgericht Ravensburg beschritten und beim EuGH nachgefragt, wie konkret einzelne Pflichtangaben eigentlich sein müssen und ob das Widerrufsrecht verwirkt oder seine Ausübung rechtsmissbräuchlich sein kann. Der BGH kritisierte das Vorgehen des Einzelrichters als überflüssig, da die Verbraucherkreditrichtlinie so eindeutig formuliert sei, dass nur eine Auslegung in Betracht kommen würde, nämlich die des BGH. Außerdem habe der BGH in Bezug auf den Einwand der Verwirkung und zur rechtsmissbräuchlichen Anwendung des Widerrufsrechts bereits abschließend entschieden.
Dumm nur, dass der EuGH das ganz anders sieht. Nach der aktuellen Entscheidung des EuGH vom 09.09.2021 darf ein Kreditgeber bei Ausübung des Widerrufsrechts keine Verwirkung einwenden oder von einem Rechtsmissbrauch ausgehen, wenn er den Verbraucher nicht ordnungsgemäß über seine Rechte und Pflichten informiert hat. Zum einen sehe die EU-Richtlinie keine zeitliche Beschränkung des Widerrufsrechts vor, zum anderen bestrafe die Regelung Gewerbetreibende, die gegen ihre Informationspflichten verstoßen und diene so der Abschreckung. Außerdem hat der EuGH in Bezug auf die notwendigen Pflichtangaben festgestellt, dass ein Verbraucher, der nicht klar und verständlich über die Höhe der Verzugszinsen und die Berechnung der bei vorzeitiger Rückzahlung fälligen Entschädigung (Vorfälligkeitsentschädigung) belehrt worden ist, seinen Kreditvertrag widerrufen kann.
Es bleibt abzuwarten, wie der BGH mit dieser Entscheidung umgeht.
Sofern die vom Gesetzgeber vorgegebene Musterbelehrung verwendet worden ist, dürfte weiterhin die Gesetzlichkeitsfiktion gelten, d.h. eine Bank durfte darauf vertrauen, dass sie bei Verwendung der vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Musterformulierung ihre Informationspflichten gegenüber dem Verbraucher ordnungsgemäß erfüllt hat. Allerdings sind die wenigsten Widerrufsbelehrungen deckungsgleich mit der gesetzlichen Musterformulierung. Auch ist der BGH in Bezug auf Immobiliendarlehen der Auffassung, dass diese nicht unter die Regelungen der Verbraucherkreditrichtlinie fallen.
Ansonsten ist aber zu hoffen, dass der BGH die Entscheidung des EuGH umsetzt. Schließlich hätten die Banken ihren Kunden die gesetzlich geschuldeten Informationen jederzeit nachträglich zukommen lassen können. Hiervon haben sie aber bewusst abgesehen, um zu verhindern, dass Kunden reihenweise ihre Darlehensverträge widerrufen. Sie sind damit bewusst ein finanzielles Risiko eingegangen, dass sich bisher angesichts der Rechtsprechung des BGH ausgezahlt hat.
Die Entscheidungen des EuGH mit weiteren Nachweisen finden Sie hier, wobei der eigentliche Urteilstext jeweils am Ende steht: