In der Vergangenheit kam es regelmäßig vor, dass sich Unternehmen in sogenannten Massenverfahren kurz vor Erlass einer BGH-Entscheidung mit den klagenden Verbrauchern geeinigt haben, um eine negative Grundsatzentscheidung des BGH zu vermeiden. So war z.B. für viele der vom Dieselabgasskandal betroffenen Autokäufer die Verjährungsfrist schon abgelaufen, als der BGH auf Schadensersatz zulasten der Autohersteller wie VW entschied.
Durch eine Gesetzesergänzung hat der BGH seit dem 31.10.2024 die Möglichkeit, in einem Masseverfahren, in dem Revision eingelegt worden ist, eine Leitentscheidung zu treffen, die als Richtschnur für die unteren Gerichte dient. Noch am gleichen Tag hat der BGH beschlossen, eine Schadensersatzklage wegen Verstoßes gegen den Datenschutz in einem Massenverfahren zum Facebook-Datenleck zur Leitentscheidung zu erklären. Hierzu liegt seit dem 18.11.2024 die Revisionsentscheidung vor, die betroffenen Facebook-Nutzern Schadensersatz für den Kontrollverlust über ihre personenbezogenen Daten gewährt.
Die Möglichkeit des BGH, Leitentscheidungen zu treffen, dient der Rechtssicherheit der betroffenen Verbraucher und entlastet die von den Masseverfahren betroffenen Gerichte. Durch Legal Tech Anbieter wie wenigermiete.de oder Flightright, die mit online tools und KI arbeiten, werden Gerichte mit Massen von gleichlautenden Klagen konfrontiert. Die vor der Entscheidungsfindung vorausgesetzten Gerichtsverhandlungen werden als Videoverhandlungen durch bloße Sitzungsvertreter ohne eigene Entscheidungskompetenz geführt. Dies ist aus Sicht der Klägervertreter nachzuvollziehen, die auf Erfolgsbasis arbeiten und die Kosten so gering wie möglich halten wollen. Verbraucher können keine individuelle anwaltliche Betreuung ihrer Anliegen erwarten, haben aber die Möglichkeit, bestimmte Rechte ohne Kostenrisiko durchzusetzen, wofür sie im Erfolgsfall eine über der üblichen Anwaltsvergütung liegende Provision zahlen.
Für Gerichte sind Massenverfahren ein einziger Alptraum. Die Geschäftsstellen sind schon jetzt überlastet, Legal Tech findet nur langsam Einzug, die elektronische Gerichtsakte wird erst zum 01.01.2026 verpflichtend eingeführt. Für Richter, die gehalten sind, die Besonderheiten des Einzelfalles rechtlich zu würdigen, sind Massenverfahren monoton und arbeitsintensiv. Sie machen es daher deutlich schwieriger, Nachwuchs für das Richteramt anzuwerben. Denn jemand, der ein Studium mit anschließenden Referendariat und zwei Staatsexamen absolviert hat, träumt nicht davon, im kleinen Kämmerchen massenhaft über Entschädigungen von bis zu 600,00 € wegen Flugverspätungen zu entscheiden, weil am Gerichtsort ein Flughafen angesiedelt ist.
Leitentscheidungen des BGH erleichtern die Arbeit der unteren Instanzen. Noch mehr würde es allerdings helfen, wenn Geld in die Hand genommen wird, um die Justiz technisch besser auszustatten. Denn so kann sie nicht mithalten.